Istanbul hat mich gelehrt, über meine Grenzen hinauszuwachsen – und immer wieder neue Motivation in mir zu entfachen. Um wirklich in der Stadt anzukommen, begann ich, Türkisch zu lernen. Ich wollte meine türkische "Hälfte" entfachen und die Sprache meines Vaters verstehen und sprechen. Ich denke, das war ein wichtiger Schritt meiner Identitätsfindung. Die Sprache gab mir Sicherheit, ich fühlte mich in der Türkei immer mehr zu Hause und genoss es mit meinen Verwandten endlich besser kommunizieren zu können und so auch ihre Gedankenwelten zu verstehen. In diesem Istanbuler Wirrwarr zwischen Sprachkurs, Jobs und Parties lernte ich meinen zukünftigen Mann Cagdas kennen. Es war, auch wenn ich nicht so richtig an sowas glaube, als hätte das Universum uns gezielt zusammengeführt: Zwei Menschen unter Millionen, die sich auf den ersten Blick verliebten.
Cagdas war Tattoo-Künstler und stand kurz davor, sein eigenes Studio im Herzen Istanbuls zu eröffnen. Gemeinsam entwarfen wir ein Konzept, durchstöberten Möbelgeschäfte und waren von Anfang an ein unschlagbares Team. Manchmal kamen Basketballspieler aus den USA zu ihm – ich übersetzte, und so begann unsere gemeinsame berufliche Reise.
Kurz darauf landete ich einen anspruchsvollen Job bei einem Projekt, das Kulturinitiativen in der Türkei förderte. Ich verantwortete Social Media, reiste nach Izmir, Diyarbakir und Gaziantep. Diese Zeit war magisch, doch sie konfrontierte mich auch mit harten Realitäten: Lokale Mitarbeitende erhielten weniger Gehalt als "Entsandte" aus Deutschland. Die Arbeit erfüllte mich, doch der Beigeschmack von Ungerechtigkeit und Überheblichkeit blieb. Mir fehlte etwas: das freie, visuelle Schaffen.
Cagdas und ich zogen schnell zusammen – in eine Wohnung mit Terrasse in Cihangir. Dort verbrachten wir unzählige Stunden, beobachteten Schiffe auf dem Bosporus und träumten. Seine Familie umarmte mich mit einer Wärme, die mir Halt gab. Aus bescheidenen Verhältnissen stammend mit wenig Perspektive unterstützten sie Cagdas’ Karriere, so gut es ihnen möglich war. Er hatte einen Bachelor, tätowierte nebenbei und jobbte, um über die Runden zu kommen. Von ihm lernte ich, das Beste aus jeder Situation zu machen und Leidenschaft über Sicherheit zu stellen. Nach langen Tattoo-Sessions kam er nicht erschöpft nach Hause, sondern strahlend – als hätte er die Welt verschenkt. Das ließ mich zweifeln: Sollte ich nicht auch einen Beruf wählen, der mich so erfüllt?
Die Studios, die wir besuchten, hatten alle ihre eigene Seele. Doch wir träumten von einem Ort, der uns widerspiegelte: ein Raum, der Werte wie Zwischenmenschlichkeit, Ästhetik und ein rundum perfektes Erlebnis atmete. Die Suche nach einem Mietobjekt gestaltete sich als Kampf gegen Vorurteile – die Tattoo-Branche ist noch immer ein Schattenkind. Doch dann kam Noqta Tattoos. Wir hämmerten, malerten, bauten eine Rezeption und eine Küche. Alles sollte hell, leicht und freundlich sein – die Kunst und die Menschen im Mittelpunkt.
Drei Jahre lang durchstreiften wir Istanbul und das Leben Hand in Hand. Doch irgendwann spürten wir: Hier gibt es keine Zukunft für uns. Die politischen und wirtschaftlichen Wolken über der Türkei wurden dunkler. Also wagten wir den Sprung nach Berlin. Wir heirateten. Cagdas fand Platz in einem guten Studio, ich jobbte für den Verein Maviblau, wurde Vorstandsmitglied, und durchlief endlose Bewerbungsgespräche. Doch in den verstaubten Strukturen deutscher Kulturinstitutionen fühlte ich mich fremd.
Stattdessen wurde ich Cagdas’ rechte Hand: Wir organisierten Guest Spots in Frankreich, und die Tattoo-Welt umarmte mich. Plötzlich erinnerte ich mich an eine Nacht in Istanbul – an die Hand-Poke-Technik, die ich schon immer ausprobieren wollte. Cagdas besorgte mir Equipment, ich übte auf Fake Skin, dann an ihm. Und da war dieser Moment: Ein Funke zündete. Ich wusste, das war es. Fortan verbrachte ich jede freie Minute mit Nadeln und Pigmenten, baute ein Mini-Studio in unserer Wohnung auf – und wagte mich bald allein auf Guest Spots.
Es funktionierte. Trotz Wirtschaftskrise und Zweifeln blüht das Studio. Wir holten andere Artists ins Boot – doch plötzlich war alles zu viel. Der Fokus verschwamm, die Verantwortung fraß immer mehr die Leichtigkeit. Die Dinge, die wir liebten – Kunst, Begegnungen, das Kreieren –, verschwanden hinter Rechnungen und Teammanagement. In der Zeit unserer Gründung traf mich ein privater Schicksalsschlag. Ich stürzte in ein Trauer Burn-Out, und plötzlich fühlte ich mich wie fremd in unseren eigenen vier Wänden. In den Tattoositzungen fand ich meine Quelle der Freude – und die möchte ich um jeden Preis bewahren.
Ist das noch unser Traum – oder nur noch ein Geschäft?
Die Antwort darauf, ob ein Richtungswechsel „Weiterwachsen“ bedeutet, und wie unsere Reise nun weitergeht … das verrate ich im nächsten Blog.
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